Gast-Blog: Insider-Wissen. Wie wählt der Weltcup-Profi sein Material?

Profi-Snowboarder Alex Payer teilt sein Insider-Wissen mit uns und erzählt wie die Profis zum perfekten Material für die anstehende Ski- & Snowboard-Saison kommen. Auch für Freizeitsportler hat er hilfreiche Tipps für die richtige Materialwahl mit im Gepäck.

Das Material-Wunder?

Wie jeder ambitionierte Wintersportler weiß, ist das Material der Schlüssel zum perfekten Skitag und, wenn es mal nicht so klappt mit dem Carvingschwung, dann liegt das auf jeden Fall am Kantentuning und nicht an einem selbst. ;-)

 

Nein Spaß bei Seite, natürlich ist das Eigenkönnen immer noch das Wichtigste, doch das richtige Material unterstützt den Snowboarder sowie Skifahrer dabei das Beste aus einem raus und auf die Piste zu bekommen. Wie dieses heikle Thema im Profisport angegangen wird, gibt’s daher gleich nachfolgend.

Die wichtigste Frage zuerst:
Wann wird getestet?

Diese Frage gilt es, wenn man sich mit Materialfragen beschäftigt als Erstes zu klären und ist mir besonders wichtig - da sie sowohl für den Profisportler wie auch für den Breitensportler aus meiner Sicht ziemlich ident ist.

 

  • Der ideale Zeitpunkt für die Suche nach dem perfekten Ski ist das Saisonende. Hier ist man üblicherweise in Bestform, hat über den Winter verteilt einiges an Pistenkilometern gesammelt und dadurch das Vertrauen in das eigene Können kontinuierlich ausgebaut. Somit kann man wirklich unter besten körperlichen Voraussetzungen testen und spürt die doch oft feinen Unterschiede sofort.
  • Ein weiterer wichtiger Punkt ist hierbei auch, dass der Druck auf unseren geliebten Pisten im Frühwinter natürlich enorm ist und dadurch auch teilweise einfach der Platz fehlt, um sich an das neue Material heranzutasten.
  • Für mich ist hier die Phase nach den letzten Weltcuprennen enorm wichtig. Meistens ist somit Ende März bis Ende April meine Testphase wo zumindest das Gröbste erledigt werden muss, um in aller Ruhe dann in die neue Winter-Saison starten zu können.

Bei dieser Frage scheiden sich die Geister:
Wo wird getestet?

Diese Frage zu beantworten ist auf jeden Fall ein Spießrutenlauf, denn jeder Wintersportler hat sein Lieblingsterrain und vor allem Gefälle. Für mich gilt jedoch, dass ich bei Testtagen eher auf einfachere und breite Pisten setze.

 

Es macht wenig Sinn, wenn ich mich mit neuem Material sofort den Klammerschuss hinunterwerfe, ohne zuerst das nötige Vertrauen auf dem neuen Gerät aufgebaut zu haben. Deswegen würde ich immer raten zuerst im einfacheren Gelände die ersten Schwünge zu ziehen und breite Pisten wie die Spitzeckabfahrt zu bevorzugen. Denn abgesehen von Geschwindigkeit sollte sich das Material ja auch spielerisch auf unterschiedlichen Radien und Rhythmen bewegen lassen.

 

Deswegen mein Tipp: Auf jeden Fall vom Einfachen zum Schweren und vom Flachen zum Steilen.

Jetzt geht’s ans Eingemachte:
Wie wird getestet?

Für mich bedeutet das Wie vor allem eines: „Eine gute Vorbereitung“. Denn es reicht im Profisport natürlich nicht ein paar Boards oder Skier auf die Piste zu tragen und dann einfach draufloszufahren. Hier gilt es einiges zu beachten und im Vorfeld zu klären:

 

1. Vorauswahl.
Die Boards, welche ich nun wirklich mit auf die Teststrecke nehme, wollen natürlich gut ausgewählt sein, denn mehr als 3-4 Boards auf einmal lassen sich einfach nicht seriös testen. Auch müssen diese bereits auf das eigene Gewicht und Schuhmaterial abgestimmt sein. Im Breitensport würde ich ähnlich vorgehen. Ich würde raten ein Maximum von drei unterschiedlichen Sportgeräten, welche Dein Interesse erregt haben, zu organisieren (Verleih/Sportfachhandel im Skigebiet bzw. Ski-Test-Days) und diese vollkommen ident einstellen und tunen zu lassen.

2. Teststrecke.

Im Rennlauf muss ich natürlich auf einer gesperrten Piste mit einem ausgestreckten Kurs an den Start gehen. Hier gilt es zu beachten, dass es nicht der schwerste Hang sein sollte und vor allem die Zeitnehmung funktionieren sollte. Ja tatsächlich auch 2023 ist die Zuverlässigkeit hier nicht immer das gelbe vom Ei. Für Freizeitsportler gibt es auch im Skigebiet Bad Kleinkirchheim eine Rennstrecke mit Zeitmessung – direkt beim Panoramalift / Nockalm Bergstation.

 

Auch ist es enorm wichtig, dass genügend Platz auf der Test-Piste vorhanden ist - sodass am selben Hang ein paar Einfahrschwünge gezogen werden können. Oft lässt sich beim Freifahren schon feststellen, wenn ein Board/Ski nicht den gewünschten Anforderungen entspricht.

 

3. Ablauf.

Für mich heißt es nun, dass jedes Board mindestens 3 Zeitläufe pro Tag bekommen sollte. Plus natürlich ein Minimum an Aufwärmläufen. Im Breitensport kann ich euch ebenfalls folgende Erfahrung mitgeben: Jedes neue Sportgerät braucht eine gewisse Gewöhnungsphase und es wird nicht immer „Liebe“ auf den ersten Blick sein.

 

Nach jedem Testtag scheidet bei mir nun ein Board aus dem direkten Vergleich aus, bis irgendwann mein „Rennboard“ überbleibt. Deswegen mein Tipp, nicht zu viele Geräte in der engeren Auswahl, sonst wird das eine lange Test-Phase ;-)

Gibt es das perfekte Brett / Ski?

Das ist die Frage, die jeden Board- oder Skiproduzenten seit Jahrzehnten antreibt sowie auch dafür sorgt, dass es immer wieder eine enorme Anzahl an Neuerungen gibt und die Innovation nicht auf der Strecke bleibt. Grundsätzlich gilt, dass vor allem der echte Holzkern die Basis für ein gutes Board und gute Skier ist und bleibt.

 

Hier liegt die größte Quelle für Qualitätsmängel und in der Kombination mit weiteren Komponenten auch die größten Chancen. Wer einen sanften, ruhigen Ski / Snowboard sucht, greift zu einem mit einer hohen Dichte an Gummieinlagen. Wer es gerne aggressiv mag, greift zu möglichst vielen Titanalschichten. Die Oberfläche ist leider nur fürs Auge und hat minimale Auswirkungen auf die Performance.

Im Rennsport muss man ganz klar sagen, dass es das „eine“ Board bzw. den „einen“ Ski nicht gibt. Zu groß ist der Faktor Kurssetzung und Pistenbeschaffenheit in die Auswahl des Materials einzubeziehen. Doch trotz all dieser Faktoren bin ich bei gut zwei Drittel aller Wettkämpfe mit demselben Material unterwegs. Das ist nicht immer das schnellstmögliche, sondern jenes Material in welches ich das größte Vertrauen habe und welches mir die konstanteste Performance bietet.

 

Darauf würde ich auch im Breitensport setzen. Es geht nicht nur darum „das eine perfekte Sportgerät“ zu finden welches den besten Kantengrip oder die größte Beschleunigung bietet, sondern das Board bzw. den Ski, der Deine eigene Performance am besten unterstützt.

Alles Liebe &
Einen guten Start in die Winter-Saison,
Euer Alex

 

Instagram: alexanderpayer
Website: https://www.alex-payer.at/